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Leseproben Theatertexte hier


Essays, Ausschnitte

das wir muss sterben und es weiß nichts davon. wir haben etwas gemeinsam, sagt es: wir sind immer andere, aber wir sind da. das reißt ein stück aus sich heraus und schleudert es den anderen hin: friß oder stirbt. das wir bildet immer kollektive und zieht linien auf, und dann reicht es dir die hand und es war nur ein scherz. (das wir muss sterben und es weiß nichts davon, veröffentlicht in einem spielzeitheft)

die dinge haben einen schatten, (…) es ist der schatten des menschlichen, das sich nach mehr sehnt. (aus: von den dingen, 2019, unveröffentlicht, für eine ausstellungskonzeption) 

sie (die mitte) blickt an sich herab: bin ich tot, bin ich angekommen in der härte der welt, im fleischkampf der geschichte, das bin ich wohl. (aus: es wuchert die wahrheit, es teilt sich die welt, 2019, unveröffentlicht, von einem essaiband zurückgezogen)

ich kann durchaus etwas sagen zum körper. also wenn sie kurz zeit haben. zum körper wird viel gesagt, aber jetzt sag ich auch einmal was. ich sage jetzt einfach was dazu, zum körper. als erstes möchte ich mal sagen, ich hab ja meinen körper selber immer dabei, darum erklär ich ihnen das jetzt. (der frauenkörper im multikopf, veröffentlicht in logbuch suhrkamp)

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DAS WIR MUSS STERBEN UND ES WEISS NICHTS DAVON

das wir muss sterben und es weiß nichts davon. wir haben etwas gemeinsam, sagt es: wir sind immer andere, aber wir sind da. das reißt ein stück aus sich heraus und schleudert es den anderen hin: friß oder stirbt. das wir bildet immer kollektive und zieht linien auf, und dann reicht es dir die hand und es war nur ein scherz.

das ist total needy, so ein wir. das greift immer mit seinen tentakeln nach einem, so ein wir, oder es schiebt einen weg, da wird gezerrt und gezogen an einem, nur weil man einen körper hat, oder nur, weil man da ist. geht man zwei schritte weiter, dann gehört man vielleicht schon nicht mehr dazu, oder dann doch wieder, da kennt sich niemand aus, das ist immer verhandlungssache, so ein wir, das muss sich ständig verhandeln, verhandeln und verhacken und vermischen und abschmecken und sich selbst nicht kennen und sich selbst kennen und ganz anders sein und sich berufen und sich nicht berufen. da ist ja alles total kompliziert, da tut man besser so, als kenne man sich aus! ein wir kann sich auf eine vergangenheit berufen, ach, war das damals schön! oder: nein, was haben wir uns damals bloß gedacht. oder auf eine zukunft: was könnten wir alles noch machen! – was könnten wir alles noch sein! weißt du noch? wer war das eigentlich, damals? oder auch: was man alles hätte sein können. was man nicht alles hätte sein können. was nicht alles hätte können sein. was nicht alles hätte sein müssen. was alles nicht hätte sein müssen. das muss ja alles nicht sein.

oder auf was beruft es sich noch, auf ein jetzt: sind wir nicht alle so wunderbar zerbröselt? oder wer bist du? zum beispiel. das wir ist mitgegangen, mitgefangen, das wir ist in den raum gegangen, in den gemeinsamen vorstellungsraum, das wir ist durch einen gemeinsamen raum gegangen, durch eine gemeinsame zeit, oder nicht.

(Textausschnitt)


SIND NICHT GEMACHT FÜREINANDER, SAGT DIE ORDNUNG UND DAS CHAOS WEINT
(kurzes zu transit und leben), Transit Transit/ Spielzeitheft HLTM

am anfang war eine ordnung und ein chaos, und die zwei trennten sich, und da war eine grenze. du, wir passen nicht mehr zusammen, sagt die ordnung zum chaos, und das chaos ist traurig; und alle tage dazwischen platzen heraus, plötzlich, und in die welt hinein, und die welt teilt sich in tage und in zeit. seid ihr bereit? und die ordnung und das chaos raufen sich nocheinmal zusammen, und stellen eine sonne auf, damit tag ist, und einen mond, damit nacht ist, damit nicht immer dasselbe ist. die tage wechseln sich ab und befreunden sich mit der zeit. die grenze legt sich zwischen das chaos und die ordnung, und die welt wird unheimlich kompliziert. wir sind nicht füreinander gemacht, sagt die ordnung, und das chaos weint und die grenze schaut weg, und aus der tasche fällt ihr ein lineal.

geht man eine grenze entlang, kommt sie mit, herrgott, das ist alles so kompliziert, legt sich ins bett zu chaos und unordnung dazu, bitte entschuldige, das ist alles schon so, auch ohne dich alles schon so unendlich kompliziert; sagt die grenze, dafür bin ich ja da, ich mach es einfacher, ich mach alles so viel einfacher, schaut nur einmal her. links, rechts, links, rechts, rechts, links, seht ihr nicht?


DER FRAUENKÖRPER IM MULTIKOPF, logbuch suhrkamp onlinemagazin LINK >>>

was denkt sich der körper von sich selber eigentlich. das weiß man gar nicht so genau. weil der hat da vielleicht schon ein anderes verständnis davon, der hat da vielleicht immer schon ein anderes verständnis von sich. der sieht sich ja jeden tag. der sieht sich natürlich scheitern. scheitern und altern. der sieht sich grimassen ziehn, und lacht über sich selbst. ich meine, der macht einiges mit, aber wie lange.

vielleicht ist noch was anderes drin in dem körper, vielleicht ist da noch ein gehirn drin irgendwo, das auch mal rausschaut. hallo. oder eine wahrnehmung. oder irgendwas. vielleicht sitzt da irgendwo ein mensch drin, hallo, ein mensch, manchmal. vielleicht sitzt da irgendwo eine ganze gruppe menschen drin. oder eine gruppe papageien. eine gruppe papageien, die redet den ganzen tag. das reicht ja auch schon.

der frauenkörper ist jung und räkelt sich und verspricht und verkauft uns etwas. der frauenkörper trägt ein geheimnis. das enigma des frauenköpers ist, dass er etwas schafft, dass er begehren, dass er leben schafft. der frauenkörper schafft einen mehrwert. mehrwert ist, wenn mehr rauskommt, als man reintut.


GEDICHTE, manuskripte 221, Zeitschrift für Literatur

BERICHTE VON DRÜBEN

gegenüber gehen schon die lichter aus, da stellt sich einer ans fenster,
und starrt vor sich hin, ganz lang, bis er mit dem fensterglas verschmilzt,
und dahinter ausgespuckt wird:
jetzt läuft er im dunkel den rasen entlang,
und ich winke ihm zu, aber auch nur solang meine hand
nicht an der scheibe bricht, immer und immer wieder:
irgendwann hängt die hand schon vom knöchel,
irgendwann ist es die hand, die bricht.
das winken hat gegen das fenster geschlagen,
das winken der hand hat zu oft und zu fest gegen das glas des fensters geschlagen:
die durchsicht des glases hat die bewegung der hand erschlagen:
die hand ist mir im winken erschlafft,
die hand ist im falschen winkel und nur wegen dem fenster erschlafft,
der mann ist verschmolzen mit dem glas,
der mann läuft über den rasen, verfolgt vom licht,
ich klopfe von innen gegen das glas,
die sirenen jaulen, die sirenen hat jemand am nacken hochgezogen
und gegen die wand geschleudert, die sirenen jodeln,
die sirenen jodeln das vaterlandslied,
die sirenen sind auf der flucht, die sirenen sind auf der jagd,
die sirenen sind losgerannt als ob es ihr einziges leben wär:
der mann stolpert, der mann stolpert und bricht,
das licht geht an über ihm, das licht der scheinwerfer wird auf ihn gerichtet,
der mann öffnet den mund, das licht der scheinwerfer explodiert
in seinem aug, sein gesicht ist erstarrt, jemand hat die sirenen
angemacht, es ist vorbei, er hebt die hand:
ich stehe vor dem fenster, gegenüber stand ein mann vor der scheibe,
ich sah kurz weg, das licht ging aus, er erschien auf dem rasen.


EIN TEMPORÄRER CONTAINER FÜR DIE KÖRPER DER ZUSCHAUER, logbuch suhrkamp onlinemagazin LINK >>>

der theatersaal denkt die körper der zuschauer mit. die körper im saal sind traurig oder erregt, müde oder amüsiert, sie husten, lachen oder verlassen den saal. es gibt eine reaktion, die sich durch den körper niederschlägt, durch unruhe, anspannung, ausgelassenheit. durch angespannte aufmerksamkeit, indifferenz oder heiterkeit. die vielen körper erzeugen etwas, das nur für die dauer der vorstellung existiert.

das theater ist anachronistisch: es ist nicht teil einer bestimmten zeit, es ist teil jeder zeit. die zeitform des theaters lautet: immer wieder und nur genau jetzt, seit langem schon und noch nie so.

im theater berühren sich zeitlosigkeit und aktualität, flüchtigkeit und wiederholung. theater ist zeitloses durch die haut der vergänglichkeit, ephemeres durch die haut der institution.

das theater ist körperhaft, wie die stimme, wie der raum, wie das licht. das theater ist nicht digital. das digitale ist auf den körper nicht angewiesen. das digitale vervielfältigt die information und isoliert die körper. der digitale inhalt bedenkt die körper der zuschauer nicht mit. der digitale inhalt zirkuliert unabhängig von der physischen präsenz und aufmerksamkeit der zuschauer. er genügt sich selbst, er bildet einen zweiten raum, in den der körper keinen zutritt hat.


DIE FINGER INS LAND WERFEN, Burgmagazin, März/April 2016, Heimatlos

da geht man dann entlang, knöcheltief im wasser, und zieht mit dem finger die grenzen entlang, die landesgrenzen,
und kontinentengrenzen, und gezeitengrenzen, und wohlstandsgrenzen, und endzeitgrenzen, und wenn man nicht mehr hineinkommt,
dann wirft man den finger nach, dass zumindest der finger drin ist, dass zumindest ein fingerzeig darauf verweist, dass wir auch da sind, sagen die einen.
der finger liegt blutend in irgendeinem land, und wir lachen. als ob das eine geschichte erzählt, als ob das aussagt, etwas, später,
wenn die anderen sich erinnern werden an uns. wer wird das sein.


BROCKEN AUS SOMMER UND WINTER, Arbeitsskizzen

durch den wald gehen, und die zweige brechen. durch den wald gehen, und die weißen augen herumwerfen
und unter die blätter bohren. über die brechenden zweige gehen, und die weißen augen drehen, sich durch den wald durchschütten im kreis, und das weiß der augen verdrehen: das augenweiß auswringen wie kochwäsche bei 90 grad, und die zweige brechen, über die zweige gehen, und die blicke brechen, die sich verlieren im weiß. : (wir sind durch den wald gegangen, ich habe mich umgesehen)

ich habe das knacken eines zweiges gehört.

wir sind beim feuer gesessen, und haben mit dem finger striche in die karten gelegt: die striche sind ausgestreut wie kleine boote, die finger sind in der karte gelegen, /die karte war mit fingern übersäht, die falten der karte sind voll mit fingern gelegen, die striche der finger haben die rillen der karte gequert, die kleinen boote sind routen abgefahren auf dem land, niemand hat die boote gestoppt, /keiner hat die boote gestoppt und angehalten, das feuer ist bei uns gewesen, um uns herum, das feuer ist nicht von seiner stelle gerückt, die stelle des feuers hat sich ausgeweitet um uns, das feuer hat uns umarmt, die finger sind in der karte gelegen, wir sind im feuer gestanden, du hast das feuer umarmt, ich habe mich in die karte gewickelt, es ist dunkel geworden, die karte hat feuer gefangen, ich bin in der brennenden karte gelegen, ich bin in der brennenden karte über den platz hin gerollt, der platz hat feuer gefangen, die lichtung hat gebrannt, /mein finger, in der karte, die finger, im feuer, im boot.
wir klappen die karten ein, und nehmen die finger zurück, als ob man sie noch brauchen kann.


AUF FREMDEN BILDERN (GRÜßE VOM MICHAELERPLATZ), Anthologie exil Literaturpreis 2015

komm, wir nehmen einen der steine, aus denen der pflasterboden sich webt, und werfen ihn dem kutscher ins gesicht. vielleicht ändert er die richung, vielleicht besinnt sich das pferd.


DIE GERÄUSCHE DER KÜHLMASCHINEN, kolik 52, Zeitschrift für Literatur

Stammgast: Sobald ihr es wisst, werde ich dem Eisverkäufer ein Zeichen geben.

Frau: Er wird wieder nicht reagieren auf ihr Zeichen, wir haben es doch vorhin schon

gesehen.

Mann: Auf mein Zeichen hat er auch nicht reagiert, ich habe vorhin gewunken, so. (Winkt.)

Eisverkäufer: (Kommt.) Wenn ihr euch enschieden habt, werde ich die Bestellung

entgegennehmen, dafür werde ich bezahlt.

Mann: Wir haben uns noch nicht entschieden.

Frau: Wir haben die Situation nur durchgespielt.